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Forschungsprojekt Mobilität 2050 / Kurzbericht

Aufgabenstellung

Die Siedlungs- und Verkehrsentwicklung hat in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten Zer­siedelung und fast stetiges Verkehrswachstum erlebt. In den kommenden Jahrzehnten wird die Bevöl­kerung jedoch altern und – ggf. durch Zuwanderung gebremst – abnehmen. In welchem Maße werden sich dadurch auch Siedlungsstruktur und Verkehr mittel- und langfristig verändern? Welche politischen Folgerungen ergeben sich aus den veränderten Rahmenbedingungen? Welchen Einfluss werden Bevölkerungs-, Arbeitsmarkt- und Wohnungsmarkt­ent­wicklung auf die Angebotsqualität und auf die Nachfrage- und Sozialstruktur haben? Mit welchen neuen Bedürfnis- und Verhaltensmustern oder anderen gesellschaftlichen Entwicklungen ist in diesem Zeitraum zu rechnen?

Die Aufgabenstellung der vorliegenden Untersuchung war es, die verkehrlichen Auswirkungen dieser Entwicklung im regionalen Kontext zu klären. Um regionale Unterschiede identifizieren zu können, waren für zwei Sze­narien und für drei Regionstypen Eckwerte zum Verkehrs­auf­kommen, zum Modal Split und zur Ver­kehrsleistung des Personenverkehrs der privaten Haushalte für den Zeitraum bis zum Jahr 2050 zu erarbeiten. Dabei war die Szenariotechnik zu nutzen, weil sich die primär qualitative Szenario-Technik in der raumbezogenen Zukunftsforschung mit ihren unsicheren Entwicklungspfaden und ei­nem langfristigen Betrachtungshorizont bewährt hat.

Die Breite der Thematik mit ihren makroökonomischen, siedlungsstrukturellen und verhaltens­bezo­ge­nen Aspekten spiegelt sich in der Zusammensetzung des unter der Koordination der TRAMP GmbH Magdeburg gebildeten Konsortiums aus dem Deutschen Institut für Urbanistik (Difu), dem IWH Institut für Wirt­schafts­forschung Halle, der TU Dresden (Fakultät für Verkehrswissenschaften „Friedrich List“) und der Omni­phon GmbH Leipzig wider.

Untersuchungsmethode

Szenarienkonzept

Zur Konzeption der Szenarien wurde ein 28-köpfiger Expertenkreis aus Wissenschaftlern und Prak­tikern verschiedener Disziplinen mit ausgewiesenen Referenzen der langfristigen Perspektive ge­bil­det. Mit diesem Expertenkreis wurden auf der Basis umfassender Quellenauswertungen die für die Zu­kunftsfragen der Siedlungs- und Verkehrsentwicklung relevanten Themenkomplexe in Befragungen und auf zwei Expertenworkshops identifiziert und in Szenarien überführt.

Quantifizierung

Als Datengrundlagen standen die regionalisierte Bevölkerungsprognose des Bundesamtes für Bauwe­sen und Raumordnung (BBR) und die Daten der Rürup-Kommission zur gesamtwirtschaftlichen Ent­wicklung Deutschlands zur Verfügung. Um regional differenzierte Betrachtungen anstellen zu können, waren die Wirtschaftsdaten für den Betrachtungszeitraum 2002-2050 regional zu disaggregieren.

Zur regionalen Typisierung wurden die 97 Raumordnungsregionen Deutschlands zu drei Regions­typen zusammengefasst. Eine feinere Gliederung war datentechnisch nicht sinnvoll, wenngleich die ver­wen­deten Vorarbeiten der Prognos AG (Prognos Zukunftsatlas) und des Berlin-Instituts auf Land­kreis­ebe­ne ver­füg­bar waren. In diesen Studien wurden die Landkreise bezüglich ihrer Zukunfts­chan­cen und Zu­­kunfts­risiken eingeschätzt.

Da sich die Kennziffern zum Verkehrsverhalten (tägliche Reisezeit, Wegehäufigkeit und Anteil der Ver­kehrsausgaben an den Gesamtausgaben eines Haushalts für bestimmte Personengruppen bei glei­­chen Rahmenbedingungen) über Jahrzehnte hinweg als weitgehend stabil und konstant erwiesen haben, kann – wenn diese Stabilität bleibt – das Verkehrsverhalten auf der Basis der für 2002 bekann­ten Verhaltensweisen und Mobilitätskennziffern auch langfristig sinnvoll modelliert werden. Die Ergeb­nisse beziehen sich auf den Personenverkehr der privaten Haushalte in Deutschland ohne Berück­sich­tigung der regelmäßigen beruflichen Wege.

Untersuchungsergebnisse

Spezifika der Szenarien

Die regionale Typisierung ergab eine Klassifizierung der 97 Raumordnungsregionen Deutschlands in drei Regionstypen. Die 18 „schrumpfenden“ Regionen mit geringem Wirtschaftswachstum liegen vor allem in Ostdeutschland. Die 35 „wachsenden“ (wachstumsstarken) Regionen liegen vor allem in Süd­deutschland und um Hamburg. Viele Regionen (44) lassen sich nicht den beiden Gruppen zu­ord­­nen­den und bilden die Gruppe der „mittleren“ Regionen. Sie sind teilweise sehr heterogen und um­fassen Landkreise mit wachsen­der, schrumpfender und stabiler Entwicklung.

Die veränderten Bevölkerungs- und Wirtschaftsstrukturen, die steigende Attraktivität urbaner Lebens­formen, die Verteuerung der Lebenshaltung an peripheren Standorten, und die Knappheit preiswerter Flächen in den Kernorten der wachsenden Regionen werden die Richtung und Geschwindigkeit der Wan­derungen und der Wohnstandortwahl in den jeweiligen Regionen prägen. Vor allem bei schrump­fender Bevölkerung wird sich der ländliche Raum gegenüber den größeren Gemeinden ab 20.000 Einwohnern deutlich stärker ent­leeren. In den Regionen mit geringem Wirtschaftswachstum wird die Bevölkerung stark schrump­fen.

Aufbau der Szenarien

Aufgrund der Diskussionsergebnisse im Expertenkreis sollten sich die beiden zu modellierenden Sze­narien in Bezug auf die Annahmen zur Verteilung der Wohnstandorte innerhalb der Raumordnungs­re­gio­nen und zur Preisentwicklung bei Verkehrsgütern unterscheiden. Gemeinsame Annahme ist die zun­ehmende Altersmobilität sowie die so genannte nachholende Motorisierung von Frauen und älte­ren Personen.

Überproportionale Preissteigerungen für Verkehrsgüter sind auf Grund steigender Preise für Energie und Rohstoffe sowie durch die Umstellung auf neue Energieträger vorstellbar. Zudem werden über Steuern und Versicherungen verstärkt Anstrengungen finanziert werden, um den Klimawandel zu kom­pen­sieren und Risikovorsorge zu betreiben. Preissteigernd könnten auch der Übergang zur Nut­zer­finanzierung des Verkehrs (staatlicher Rollenwandel, Privatisierung) und neue Wege der ökono­mi­schen Regulierung (z. B. globaler Emissionshandel) sein.


Der Wandel des raumordnerischen Leitbilds („Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen“) kann Ein­fluss auf steuerliche Rahmenbedingungen und Finanz­ausgleich haben, und beispielsweise Förder­maß­nahmen und Steuervergünstigungen für „Zer­sie­de­lung“ und Verkehr (Entfernungspauschale, dop­pelter Woh­nsitz, Wohnungsbau, (Agrar-)-För­de­rung ländlicher Räume, technische und soziale In­fra­struktur, Landwirtschaftsdiesel) in Frage stellen.

Das erste Szenario ist das Szenario „Dynamische Anpassung“. Es nimmt die Überlegungen stark stei­gender Verkehrspreise und eines deutlichen Subventionsabbaus sowie den Gedanken der Reurbani­sierung auf. Das bedeutet innerhalb der Regionen eine zügige Konzentration der Wohnstandorte auf dichte Lagen und Städte mit mehr als 20.000 Einwohnern. Der Anteil hoch und mittel urbaner Wohn­formen steigt.

Das Szenario „Gleitender Übergang“ berücksichtigt moderat steigende Preise bei moderatem Sub­ven­tionsabbau und einer langsameren Veränderung der räumlichen Lagen der Wohnstandorte. Für die Wohnstandorte ergibt sich ein Prozess der räumlichen Konzentration in wachsenden und mittleren Regionen, und die beschleunigte Abwanderung aus raumaufwändigen Standorten in schrumpfenden Gebieten. Für wachsende Regionen bedeutet das also weiterhin „Zersiedelung“, für mittlere Regionen die stärkere Nutzung hoch urbaner Wohnformen und zu Entleerungstendenzen in schrumpfenden Re­gio­nen kommt es eher auf dem Land als in den größeren Städten.

Verkehrsentwicklung

Im Ergebnis beider Szenarien bleibt der motorisierte Individualverkehr in beiden Fällen der dominie­rende Verkehrsträger. Motorisierung und Verkehrsleistung (Personenkilometer) hängen eng von Wohl­­stand, Verkehrspreisen und Führerscheinbesitz ab. Die steigenden Verkehrspreise werden die vom steigenden Bruttoinlandsprodukt ausgehenden Wachstumsimpulse je nach Szenario mehr oder weniger kompensieren. Wegen der in den Szenarien unterstellten „Preisschraube“ werden der Kfz-Verkehr und die Motorisierung je nach Szenario zu unterschiedlichen Zeitpunkten nur noch moderat wachsen, sich auf einem annähernd stabilen Wert einpegeln oder gar sinken.

Während das Verkehrsaufkommen (Zahl der Wege) infolge der rückläufigen Bevölkerungszahl im Jahr 2050 je nach Szenario um 4% bis 7% niedriger liegen wird als 2002, folgen die Motorisie­rung und die Verkehrsleistung vor allem im Szenario „Gleitender Übergang“ weniger stark der Bevölkerungs­entwicklung. Die folgende Abbildung zeigt die Entwick­lung der Verkehrsleistung für die beiden Szenarien und für den „Status-quo-Fall“, einer Modell­rech­nung für den Fall, dass sich nur die Bevölkerung und die Alterszusammensetzung in den Raumord­nungs­regionen ändern.


Die je nach Szenario mehr oder weniger starke Urbanisierung wird die Entwicklung der Verkehrs­leis­tung (Personenkilometer) dabei eher dämpfen, während die durch den steigenden Führerscheinbesitz ermöglichte Steigerung der Motorisierung Wachstumsimpulse bringt. Der Autobestand wird auf Grund des nachholenden höheren Führerscheinbesitzes tendenziell weiter steigen. Bei „stärkeren“ Preis­sig­nalen“ wäre er bereits in der Mitte des Betrachtungszeitraumes stabil und in den Bestandszahlen leicht rückläufig.

Die Verkehrsleistung (Personenkilometer) und das Verkehrsaufkommen im motorisierten Verkehr werden stark durch die Alterszusammensetzung der Bevölkerung beeinflusst. Ältere Menschen sind seltener und weniger weit unterwegs als die vorwiegend erwerbstätigen Jahrgänge. Die pro Kopf in der Vergangenheit stets gestiegene Verkehrsleistung (Personenkilometer pro Tag und Person) wird im Szenario „Gleitender Übergang“ noch langsam weiter wachsen. Im Szenario „Dynamische An­pas­sung“ wird sie aber nur noch bis etwa 2030 steigen und ab der Mitte des Betrachtungszeitraumes wieder leicht sinken, um im Jahr 2050 beim heutigen Niveau zu liegen.

Der nicht motorisierte Verkehr wird sich kaum verändern. Es wird mehr zu Fuß gegangen, weil dies ältere Menschen häufig tun. Der auf Grund sinkender Jugendlichenzahlen zu erwartende Rückgang im Radverkehr wird teilweise ebenfalls durch Zuwächse bei den Senioren kompensiert.

Regionale Unterschiede

In den wachsenden Regionen werden die Wachstumsimpulse auch die Verkehrsleistung (Personen­kilo­meter) betreffen. Bei hoher Bevölkerung und kaum gebremster Zersiedelung werden die Verkehrs­leis­tungen (Personenkilometer) im MIV weiterhin wachsen.

In den schrumpfenden Regionen gehen Pkw-Bestand und Verkehrsleistungen des ÖV und des MIV sowohl im Szenario „Gleitender Übergang“ als auch im Szenario „Dynamische Anpassung“ deutlich zurück. Weder die zunehmende Motorisierung der Älteren und der Frauen noch die mit dem Ansatz des „gefühlten Alters“ gemachten Annahmen zu einer höheren Mobilität im Alter und die unterstellten Wohl­standseffekte werden den Rückgang durch die Bevölkerungsverluste vollständig kompensieren. Der Pkw-Bestand wird in den schrumpfenden Regionen zwischen 2002 und 2050 vor allem in den kleinen Orten deutlich abnehmen. Im Szenario „Dynamische Anpassung“ in den Gemeinden mit mehr als 20.000 Ein­wohnern beträgt der Rückgang etwa 4%, in den kleineren Orten dagegen bis zu 43% gegenüber dem Jahr 2002. Im Szenario „Gleitender Übergang“ wird der Rückgang bei 9% in den großen und bei 23% in den kleinen Orten liegen.

Eine dramatische Entwicklung zeichnet sich für den öffentlichen Verkehr in den kleinen Orten und vor allem in schrumpfenden Regionen ab. Durch die Entleerung der Fläche und insbeson­dere durch den Rückgang an Schülern schwindet dort die Nachfrage nach ÖV-Leistungen im Szenario „Dynamische Anpassung“ um mehr als 50%. Andererseits wird durch den Abbau der Verkehrsspitzen die Aus­las­tung gleichmäßiger. Außerhalb der Kernstädte wird der Anspruch der „Daseinsvorsorge“ in weiten Teilen der schrumpfenden Regionen mit herkömmlichen Linienverkehrsangeboten nicht mehr erfüllbar sein.


 
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